Folge 4: Die Sandburg in uns.
Viele Menschen bauen Häuser. Aber bauen sie auch sich selbst? Dieser persönliche Beitrag von Daniel Dalla Corte lädt ein zum Perspektivenwechsel: über Scheitern, Sandburgen und die Freiheit, wieder neu zu beginnen.
In der Architektur geht es oft ums Bleibende. Um Massivität. Um Dauer.
Man plant für Jahrzehnte, für Generationen. Man errichtet Häuser, als müssten sie einem Jahrhundert standhalten. Nicht dem Leben, das in ihnen stattfindet.
Doch das Leben tickt anders.
Es ist nicht aus Beton. Es ist nicht statisch. Es ist wie Sand.
Viele Menschen hören diese Stimme in sich: „Du darfst nicht scheitern.“
Sie begleitet uns in Sitzungen, auf Baustellen, bei Wettbewerben.
Jedes Projekt soll gelingen. Jedes Detail muss sitzen. Jedes Ergebnis: makellos.
Aber die Natur lacht über solche Ansprüche.
Sie testet, scheitert, verändert sich. Ein Baum wächst schief und lebt. Eine Düne wandert und bleibt. Ein Fluss wechselt sein Bett und findet seinen Weg.
Ein Kind im Sand weiss das instinktiv.
Es baut seine Burg mit Hingabe. Und zerstört sie mit derselben Hingabe.
Kein Drama. Kein Rückschritt. Kein Scheitern.
Warum?
Weil das Kind
nicht
jemand ist, der baut.
Es
ist das Bauen selbst. Es ist ganz im Tun. Im Moment. Im Sand.
Wir Erwachsenen dagegen kleben am Ergebnis.
Wir verwechseln Projekt mit Identität.
Wenn das Baugesuch abgelehnt wird, wanken wir. Wenn Kritik kommt, fühlen wir uns getroffen.
Nicht weil es schlimm ist, sondern weil es unser Selbstbild trifft: „Ich muss perfekt sein. Ich darf nicht scheitern.“
Doch genau das blockiert Kreativität.
Denn wer nur auf das Resultat schaut, verliert die Lust am Prozess.
Und damit die Leichtigkeit.
Die Freude am Entstehen. Das spielerische Erforschen.
Den Mut, etwas auszuprobieren und wieder zu verwerfen.
In meiner Arbeit als Architekt versuche ich immer wieder, den Blick zu weiten.
Nicht: „Wie sieht das Haus aus?“
Sondern: „Wie entsteht es?“
Nicht: „Was denkt der Gestaltungsbeirat?“
Sondern: „Was will dieser Ort wirklich?“
Nicht: „Habe ich Erfolg?“
Sondern: „Bin ich im Fluss?“
Denn wer der Prozess wird, lebt beweglicher.
Wer nicht mehr
jemand
sein muss, kann
etwas
werden.
Ein Raum. Ein Impuls. Eine Idee.
Und das Spannende ist: Aus genau dieser Haltung entsteht oft das Beste.
Ein gelungenes Haus erkennt man nicht an seiner Perfektion.
Sondern daran, dass es lebt. Dass es sich wandeln darf.
Dass es eine Leichtigkeit in sich trägt wie eine Sandburg, die weiss, dass sie vergänglich ist. Und genau deshalb so schön.
Vielleicht ist genau das unsere Aufgabe.
Nicht Burgen zu bauen, um uns zu beweisen.
Sondern Räume zu gestalten, in denen das Leben sich zeigen darf in all seinen Wendungen.
Und wenn etwas einstürzt, dann ist das kein Weltuntergang.
Dann ist es Sand, der neu verrinnen darf. Für das nächste Spiel.
Was ist Ihre Sandburg gerade? Und sind Sie noch im Bauen oder schon in der Angst vor dem Ergebnis?
Ich freue mich, wenn Sie Ihre Gedanken in den Kommentaren teilen.
Vielleicht entsteht daraus etwas Neues.
Weitere Beiträge dieser Serie finden Sie unter:
www.dallacorte.ch/egm
Daniel Dalla Corte
Dalla Corte Architects

